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„Fühlt sich fast an wie im Mathegebäude“

18. August 2023

Die Zeit von März bis Mitte April 2023 haben wir in Kapstadt verbracht. Um Raumkonflikte rund um Airbnb zu verstehen, führten wir qualitative Interviews mit Airbnb-Hosts, Politiker:innen und Vertreter:innen zivilgesellschaftlicher Initiativen. Auch für die quantitativen Analysen im Projekt – beispielsweise heatmaps, welche die räumliche Verteilung von Airbnb-Angeboten graphisch darstellen – war der Feldaufenthalt erkenntnisreich. Betrachtet man die heatmap für Kapstadt im Berliner Büro, sieht man zwei Hotspots, in denen sich Airbnb-Angebote konzentrieren: Der eine ist stark ausgeprägt, nahe der Küste. Der andere, entlang der innerstädtischen Flaniermeile ist deutlich schwächer ausgeprägt. Warum denn eigentlich? Sind nicht beide Orte sehr attraktiv für Tourist:innen? Nach wenigen Tagen und diversen Spaziergängen durch die Stadt war uns klar: Die bauliche Substanz unterscheidet sich an beiden Hotspots stark. Entlang der Küste reihen sich mehrstöckige Häuser aneinander, in denen potenziell viele Wohnungen über Airbnb vermietet werden können. Im Gegensatz dazu ist das Umfeld der schicken Straße mit Einkaufsmöglichkeiten und Cafés geprägt von ein- und zweistöckigen Einfamilienhäusern – und somit weniger Optionen für Airbnb-Vermietung.

Die vielen Eindrücke, die wir während des sechswöchigen Feldaufenthaltes sammeln durften, gingen natürlich auch über die Fragestellungen unseres Projektes hinaus. Gerade die ersten Tage waren vom Zurechtfinden in der Stadt geprägt, und von dem Gefühl, alles Neue aufsaugen zu wollen. Am Ende der ersten Woche haben wir uns mit Tanja Bosch verabredet – Professorin für Film and Media Studies an der University of Cape Town –, die uns über die gesamte Zeit hinweg bei Fragen zur Seite stand. Auch ein wenig erschöpft von den vielen neuen Eindrücken haben wir nach dem Gespräch mit Tanja einen Ort zum Kaffeetrinken auf dem Campus gesucht. In dem Gebäude, in dem wir dabei gelandet sind, hat sich ein unerwartetes Gefühl von „zuhause sein“ eingestellt. „Könnte auch das Mathegebäude an der TU Berlin sein“, war unser Eindruck. Die Geländer, die großen Fenster, „sogar die Fliesen sind gleich“, bemerkte Simon. Auch an andere Universitätsgebäude in Rostock oder Bielefeld haben wir uns erinnert gefühlt. Wahrscheinlich sind sie alle in Zeiten der Bildungsexpansion entstanden. Dass sich so weit weg von unserem eigentlichen Zuhause, allein durch den Charakter eines Gebäudes, ein so vertrautes Gefühl einstellen kann, ist eine der spannendsten Erfahrungen, die wir aus Kapstadt zurück nach Berlin mitgenommen habe.

Der Feldaufenthalt hat uns also zu raumtheoretischen Reflexionen eingeladen – und diese haben über öffentlichen Universitätsräume hinaus auch die Airbnb-Wohnungen betroffen, in denen wir während unserer Reise untergenommen sind. Dazu möchten wir dich einladen mit uns auf eine kleine Reise zu gehen.

Stell dir vor, du bist in einem fremden Land, Südafrika zum Beispiel, so wie wir. Ähnlich wie viele andere Millennials und Mitglieder der Gen Z findest du es in Hotels irgendwie zu unpersönlich. Also ist klar, du buchst ein Airbnb. Neben vielen Angeboten, die irgendwie unpersönlich und vielleicht auch ein bisschen kalt wirken, sticht dir eines ins Auge. Die Farben sind warm und beruhigend, die Aussicht fällt auf einen Hügel und die Reviews sind ohne Ausnahme begeistert. Also buchst du es und freust dich auf einen schönen Aufenthalt, bei dem du dem kalten Berliner Winter für ein paar Wochen entkommen kannst. Am Tag der Anreise stehst du vor einem Gittertor. In einer Box findest du den Schlüssel. Du öffnest das Tor und dein Weg führt dich über eine mit den Blüten des darüber ragenden Baums bedeckte Treppe.

Du öffnest die Tür und dir öffnet sich ein Raum, den du schon hunderte, vielleicht tausende Male gesehen hast. Nicht diesen Raum natürlich, aber Räume wie diesen! In Katalogen, im Fernsehen, in Filmen. Die Farben, die Einrichtung und das Arrangement sprechen eine Sprache. In ihren Verhältnissen zueinander und ihrer Symmetrie vermitteln sie ein Gefühl von Vertrautheit und Geborgenheit. Du siehst, wie du an einem verregneten Tag am Fenster sitzt und teetrinkend ein altes Buch liest; wie du dich nach einer Trennung oder dem Tod eines Menschen, der dir wichtig war aufs Bett wirfst; wie du gemeinsam mit Freund:innen in der kleinen Küche sitzt und so viel mehr. Dies alles sind keine Erfahrungen, die du hier gemacht hast, aber die du schon so oft in den unterschiedlichsten Medien in so ähnlichen Räumen gesehen hast, dass sie genau so gut deine Erfahrungen sein könnten.

Im SFB sprechen wir auf einer theoretischen Ebene viel über Orte als Räume, denen Identität zugeschrieben wird. Als wir einige unserer Unterkünfte betreten haben, ist uns ganz praktisch bewusst geworden, wie Identität auch künstlich erzeugt werden kann: über die symbolische Kraft von Design.

Autor:inneninfo: Simon Pohl und Christina Hecht sind Soziolog:innen und arbeiten als wissenschaftliche Mitarbeiter:innen am SFB1265. Im Projekt zur Plattformökonomie beschäftigen sie sich mit Raumkonflikten um Airbnb zwischen weltweiter Vermarktlichung und territorialer Einhegung.