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Liebe im postkolonialen Zeitalter

24. März 2023

SFB 1265 Forschende Séverine Marguin und Daddy Dibinga Kalamba im Gespräch mit Brenda Strohmaier

In Westafrika boomt ein Unterhaltungsgenre namens Afronovela. Wie in den lateinamerikanischen Telenovelas handelt es sich dabei um romantische Seifenopern, aber eben solche, die in Afrika spielen. Vor allem im Senegal und an der Elfenbeinküste hat sich eine eigene Industrie dazu entwickelt. Die französische Soziologin Séverine Marguin und der kongolesische Regisseur und Filmwissenschaftler Daddy Dibinga Kalamba untersuchen im Teilprojekt C06, wie in diesen Serien gelungenes Leben inszeniert wird.

Brenda Strohmaier: Welche Afronovelas habt ihr denn rein dienstlich schon geschaut?

Daddy Dibinga Kalamba: Zum Beispiel „Pod et Marichou“, eine der erfolgreichsten senegalesischen Serien überhaupt. Sie erzählt die Geschichte eines jungen Paares, das sich immer mal wieder trennt. Die beiden versuchen dann, mit neuen Partner*innen ein Leben aufzubauen, halten aber den Kontakt. Wir haben aber auch „Maîtresse d’un homme marié“ (Liebhaberin eines verheirateten Mannes) sowie „Karma“ gesehen, eine Serie über das Leben einer alleinerziehenden Malerin und deren Freundinnen.

B.S.: Was ist denn der speziell räumliche Aspekt an der Studie einer solchen Schmonzette?

Séverine Marguin: Wir schauen uns diese populären Alltagsgeschichten aus Westafrika zum Beispiel daraufhin an, wie Räume in Häusern dargestellt werden und wie sich die Menschen darin bewegen. Wir sehen dann, dass Marichou in die Küche geht, um in Ruhe mit ihrem ehemaligen Liebhaber Pod zu telefonieren, weil sie weiß, dass ihr neuer Mann diese nie betritt. Letztlich geht es darum, etwas über die postkoloniale senegalesische und ivorische Gesellschaft herauszufinden, insbesondere darüber, wie sie mit Konflikten zwischen Modernität und Tradition umgehen.

D.D.K.: Deshalb interessiert uns, wo das Geld für die Produktionen herkommt und was das mit der Darstellung von Raum zu tun hat. „Pod et Marichou“ wurde etwa mit senegalesischem Geld und senegalesischen Schauspieler*innen für das senegalesische Publikum gemacht.

S.M.: Das Postkoloniale daran ist, dass diese Serie kein leidendes, armes Afrika zeigt, sondern erfolgreiche, wohlhabende Menschen.

D.D.K.: So ist Pod Werbefilmer, das ist keiner, der davon träumt, in Europa zu wohnen. Der Clou ist, dass die Szenen aus seiner Firma in den Räumen der Produktionsfirma der Serie gedreht wurden. Da vermischen sich die räumlichen Ebenen, die wir untersuchen. Wenn wir mit den Machern von Afronovelas reden, erzählen die uns: „Wir könnten uns um öffentliches Geld bemühen, auch aus Europa. Aber wir machen das lieber aus eigener Kraft.“

Pod et Marichou: Filmstill aus der 4. Staffel (© Marodi.tv)

B.S.: Und was ist mit Netflix?

S.M.: Die produzieren noch nicht für Afrika, das liegt vor allem an dem Zugang zur dortigen Infrastruktur. Es gibt zwar Internet, aber ein Abo ist noch viel zu teuer. Canal+ Afrique und TV5 Monde werden dagegen über Kabel ausgestrahlt und tatsächlich in der gesamten Subregion gesehen.

B.S.: Werden denn noch viele westafrikanische Serien mit französischen Mitteln gedreht?

S.M.: Ja, dies knüpft an die koloniale Vergangenheit an, da fließt immer noch viel Geld von staatlichen französischen oder frankophonen Organisationen. Außerdem gibt es weltweit operierende frankophone Sender wie Canal+ oder TV5 Monde, die in Afrika sehr verbreitet sind und die auch Serien für den afrikanischen Markt mit produzieren.

B.S.: Wie wirkt sich die französische Beteiligung auf die Darstellung von Raum aus?

S.M.: Das sieht man ganz gut an der Serie „C’est la vie“, an der Charli Beléteau mitschreibt, der Regisseur einer sehr bekannten französischen Serie namens „Plus belle la vie“. Dafür stammt das Geld zu 75 Prozent von einer französischen, staatlich geförderten Organisation, die sich um Frauen- und Kindergesundheit kümmert. Das Ergebnis ist Edutainment, Unterhaltung mit Bildungsanspruch. Die Serie spielt in einem Gesundheitszentrum in Dakar, die Geschichten handeln von Verhütung, sexuell übertragbaren Krankheiten, Zwangsheirat.

D.D.K.: Und von dem Konflikt zwischen moderner und traditioneller Medizin, die mit Pflanzen und spirituellen Praktiken arbeitet.

S.M.: Traditionell kommt ein Marabut zu den Kranken, ein Heiler, der böse Geister vertreibt. „C’est la vie“ stellt solche Medizin in Frage.

Canal+ Afronovela Werbetafel in Senegal (© Daddy Dibinga)

B.S.: Schaut Ihr eigentlich auch zusammen Fernsehen?

D.D.K.: Ja, und wir sehen dann ganz oft etwas Unterschiedliches in derselben Szene. In „C’est la Vie“ bittet etwa eine Frau ihren Ehemann um Geld, das fandest Du ganz furchtbar Séverine.

S.M.: Oh ja. Sie hat überhaupt keine finanzielle Autonomie, nicht mal Geld, um auf den Markt zu gehen. Für mich als westliche Frau hat finanzielle Unabhängigkeit ja eine enorme Bedeutung.

D.D.K.: Es stimmt, es gibt diese Abhängigkeit vom Mann, aber sie dient nicht dazu, die Frau zu unterdrücken. Ich habe lange im Senegal gelebt, für mich ist das einfach eine Art, wie die Gesellschaft strukturiert ist, dort ist es ganz normal, den Mann um Geld zu bitten, auch für Frauen, die selbst welches haben.

S.M.: Man kann das also auch andersrum sehen. Der Mann muss jeden Tag in der Lage sein, seiner Frau Geld zu geben. Und im Senegal, wo manche sogar zwei oder drei Frauen haben, lastet ein starker Druck auf den Männern.

B.S.: Wie stellt eigentlich „C’est la vie“ Raum dar?

D.D.K.: Man sieht, dass viel mehr Geld, Zeit und Sorgfalt darin steckt, als etwa in „Pod et Marichou“.

S.M.: Für „C’est La vie“ hat man eigens ein Kulturzentrum in einem Krankenhaus umgebaut. Und wenn man Privathäuser zeigt, bemüht man sich enorm darum, authentisches Leben in Dakar abzubilden. Während lokal produzierte Serien wie „Pod et Marichou“ Raum eher als eine Idealprojektion darstellen. Die zeigen nicht das Leben von normalen Senegales*innen, sondern das, was die gerne hätten.

D.D.K.: Und diese Wünsche sind natürlich auch etwas Reales. Selbst wenn „C’est la vie“ vermeintlich realistischer ist, hat die Serie aber – laut vielen Interviewten – eben durch diese westliche Perspektive etwas weniger Authentisches. Die Geschichte des Fernsehens in Afrika ist ja keine vom Bildungsfernsehen. TV in Afrika war immer schon dazu da, um sich zu amüsieren. Der Vorläufer der Afronovelas ist das Filmtheater, das waren im Prinzip Sitcoms, deren Kulissen nicht besonders wichtig waren.

S.M.: Ein Erbe davon ist, dass in Afronovelas unglaublich viel geredet wird. Da bewegt sich nichts, da sitzen die Leute einfach auf dem Sofa oder Teppich und reden. Das fand ich am Anfang sehr ungewöhnlich.

D.D.K.: In einer Serie wie „Kakao“, die von Kanal+ finanziert wurde, sieht man dagegen richtige Außenaufnahmen, etwa von Menschen, die auf dem Feld arbeiten. Das Innere wirkt allerdings wie bei typischen Afronovelas, wobei jeder, der beide Länder kennt, sofort sieht, dass „Kakao“ ivorische Häuser zeigt und keine senegalesischen.

Hinter den Kulissen: Auf dem Set der Afronovela „Karma“ (© Séverine Marguin)

S.M.: Unser Projekt zielt genau darauf ab, solche Räume zu dekonstruieren. Und zu zeigen, dass das, was wir als sehr senegalesisch oder sehr ivorisch gezeigt bekommen, eine soziale Konstruktion ist, von einer Filmcrew inszeniert. Drehbuchautor*innen schreiben eine Geschichte, dann machen sich Location Scouts auf die Suche und schließlich zeigen sie ihre Vorschläge wieder den Regisseur*innen und Produzent*innen. Also nichts, was wir da sehen, ist ein Zufall.

B.S.: Daddy, wie ist das für dich, mit einer im Westen entwickelten Raumtheorie zu arbeiten?

D.D.K.: Diese Theorie ist doch wie ein Messer, ob ich damit ein Apfel oder eine Mango schneide, ist egal. Ich finde es innovativ, damit an Bewegtbild heranzugehen. Sonst sitzen Filmtheoretiker ja vor einer Leinwand oder am Bildschirm, wir gehen sogar zu den Drehorten, um zu verstehen, wie dort Raum entsteht. Die Relevanz unseres Projekts besteht darin, dass diese Serien einen enormen Einfluss darauf haben, wie Zuschauer*innen sich ein gutes Leben vorstellen. Dieser Einfluss wird oft übersehen. Um Afrika zu verstehen, schauen viele auf Intellektuelle wie Felvine Sarr oder Alain Mabanckou. Aber die Afronovelas sind mit ihrer Wahrheit viel näher am Volk.


Autor*inneninfo

Dr. Séverine Marguin ist Postdoc am SFB 1265 und leitet dort das Methodenlabor.

Daddy Dibinga Kalamba ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am SFB 1265. Er hat selbst als Regisseur gearbeitet und besitzt einen Master im Studiengang Dokumentarfilm.

Dr. Brenda Strohmaier ist Journalistin, promovierte Stadtsoziologin und freie Kuratorin an der Berliner Bildungsinstitution Urania.