Wandelndes Klima, wachsende Zäune: Wie Klimaflucht, Konflikte und Grenzbefestigungen zusammenhängen
Im November 2020 verwüstete der Wirbelsturm Eta Zentralamerika. Einige Monate später erzählt ein Zeitungsartikel die Geschichte von Byron, einem Familienvater aus Guatemala, dessen Dorf überschwemmt wurde und der daraufhin in die USA emigrierte, um dort Geld für den Wiederaufbau seines Hauses zu verdienen (Abbott 2021). Guatemala befindet sich in einer ökonomischen Krise und die versprochenen Hilfen der Regierung an die Flutopfer blieben aus. So blieb für Byron und viele andere als einziger Ausweg die Flucht in Richtung USA. Der Wirbelsturm – dessen Heftigkeit auf den Klimawandel zurückzuführen ist (Ernst 2020) – war ein erneuter Auslöser für Emigration aus Guatemala. Weitere Gründe liegen jedoch auch in der sich verschärfenden Armut, den Folgen der COVID19-Pandemie, einer hohen Kriminalitätsrate und der instabilen politischen Lage des Landes.
Die Geschichte von Byron verdeutlicht so den Zusammenhang von Klimawandel, Migration und Grenzen. Denn während Byron der schwierige Weg in die USA gelungen ist, werden tausende Migrant*innen aus Zentralamerika spätestens an der US-mexikanischen Grenze aufgehalten. Die Südgrenze der USA ist nicht nur mit Zäunen befestigt, sondern über weite Strecken auch streng bewacht. Mittlerweile kontrolliert auch Mexiko im Rahmen seiner Kooperation mit den USA seine südliche Grenze deutlich stärker als noch vor einigen Jahren, so dass viele Migrant*innen bereits aufgehalten werden, bevor sie auch nur in die Nähe der USA kommen. Für diejenigen, die vor den Folgen von Umweltkatastrophen fliehen, ist die Einreise besonders schwierig. Während politisch Verfolgte ein Recht auf Asyl in den USA haben, sind die Rechte der Betroffenen von Klimaveränderungen unklar.
Die Rolle von Grenzen ist in diesem Kontext zentral; zum einen, weil sie die Orte sind, an denen Migrant*innen aufgehalten werden und ihr Recht auf Einreise geprüft wird und zum anderen, weil an Grenzen auch zwischenstaatliche Konflikte um die Folgen des Klimawandels ausgetragen werden. Dieser Beitrag beleuchtet die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen Grenzen, Klimawandel, Migration und Konflikten: Der Klimawandel verursacht Migration und Konflikte. Konflikte führen zu Migration und Migration führt zu Konflikten. Grenzzäune verhindern Migration – genauer gesagt verhindern sie internationale Migration und verursachen somit mehr Binnenmigration. Die Folgen des Klimawandels überschreiten Grenzen und verstärken gleichzeitig Grenzkonflikte.
Im Folgenden werde ich zunächst einen Blick auf die Rolle von Grenzbefestigungen in der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft werfen. Anschließend werde ich genauer auf den Klimawandel als eine Ursache von Migration eingehen, um danach zu erläutern, wie Konflikte durch Klimawandel entstehen und schließlich meine Beobachtungen mit einigen abschließenden Gedanken zusammenzuführen.
Grenzkonflikte gestern, heute, morgen
Grenzen und Grenzzäune bestehen seit Jahrtausenden. Ihre Formen und Funktionen haben sich im Laufe der Zeit gewandelt, jedoch gibt es auch Kontinuitäten. Früher dienten Grenzbefestigungen oft der militärischen Verteidigung, der Abwehr gegen benachbarte Staaten und Armeen. Die Maginot-Linie, eine vor allem aus Bunkern bestehende Verteidigungslinie, die Frankreich in den 1930er Jahren zur Abwehr gegen die deutsche Armee errichtete, ist ein typisches Beispiel hierfür. Noch weiter in der Vergangenheit sind auch die Chinesische Mauer oder der römische Limes Beispiele der Abwehr gegen angreifende Feinde oder auch als „Barbaren“ definierte Fremde. Sie wurde zur Grenzsicherung und als Verteidigungslinie genutzt, im Fall der Chinesischen Mauer hauptsächlich gegen mongolische Angriffe, im Fall des Limes gegen die Germanen. Jedoch hatten auch diese historischen Grenzsicherungen bereits vielfältige Funktionen: So diente der Limes auch dazu, Zölle zu erheben und das Römische Reich symbolisch zu begrenzen, und die Chinesische Mauer hatte ebenfalls die symbolische Funktion, innere Einheit zu schaffen und den Zusammenhalt zu stärken (Demandt 2020; Volner 2019).
Heute haben Grenzbefestigungen sehr unterschiedliche und komplexe Funktionen. Obwohl nach dem Ende des Kalten Krieges die Hoffnung auf eine Welt der offenen Grenzen aufkam, nimmt die Zahl der befestigten (‚fortifizierten‘) Grenzen seitdem immer weiter zu. Neben den Funktionen haben sich auch die Formen der Grenzbefestigung gewandelt: Aus den historischen Steinmauern sind heute kostspielige Hightech-Komplexe aus Metallzäunen, Betonfundamenten, Stacheldraht, Kameras, Sensoren, Nachtsichtgeräten und Schallwaffen geworden. Jedoch dienen diese modernen Fortifizierungen nur noch selten der militärischen Abwehr feindlicher Armeen, sondern vielmehr der Kontrolle von Mobilität, wobei sie meist Filter darstellen, die erwünschte von unerwünschter Mobilität trennen. Sie sollen insbesondere irreguläre Migrant*innen aufhalten, jedoch auch Schmuggel und Terrorismus unterbinden. Die meisten der modernen Grenzzäune stellen Wohlstandsgrenzen zwischen reicheren und ärmeren Ländern dar (Carter, Poast 2017). Gleichzeitig haben kontemporäre Grenzzäune wie schon manche ihrer historischen Vorläufer auch eine symbolische Funktion: Sie dienen Regierungen dazu, Angst zu schüren und eine Bedrohung von außen zu betonen. Die US-mexikanische und die ungarisch-serbische Grenze sind gute Beispiele hierfür. In beiden Fällen sind die Zäune in erster Linie gegen Migrant*innen gerichtet. Gleichzeitig haben in beiden Fällen die Regierungen von Victor Orbàn und Donald Trump die Grenzbefestigungen auch genutzt, um ihre Wählerschaft zu mobilisieren und innenpolitische Erfolge zu erzielen – die Stigmatisierung der fremden „Barbaren“ hinter der Grenze hat also auch historische Kontinuität. Neben solchen Grenzzäunen, die der Migrationskontrolle und der Mobilisierung von Wählerschaften dienen, gibt es jedoch auch heute noch Grenzkonflikte, die zwischen verfeindeten Nachbarstaaten ausgetragen werden. So ist die Landgrenze zwischen Indien und Pakistan nahezu vollständig geschlossen, was hauptsächlich auf den Territorialkonflikt der beiden Länder um die Kaschmir-Region zurückzuführen ist. Als ein neuer Grund für Grenzschließungen ist seit 2020 die Corona-Pandemie hinzugekommen. Zudem spielen auch Umweltveränderungen bereits heute eine Rolle für Mobilität und Grenzkontrollen, wie die Geschichte von Byron zeigt: Viele der Migrant*innen aus Zentralamerika, die versuchen, die US-amerikanische Grenze zu überqueren, flüchten unter anderem auch vor den Folgen des Klimawandels.
Solche Fluchtbewegungen und Konflikte im Zusammenhang mit Klimaveränderungen werden sich in Zukunft verstärken. Die Folgen des Klimawandels sind bereits jetzt spürbar und die Frage ist nicht mehr ob, sondern wie schnell und wie extrem sie eintreten werden. Über die mögliche Anzahl von Klimaflüchtlingen wird noch debattiert, klar ist jedoch, dass der Klimawandel ein zentraler Faktor zukünftiger Migrationsbewegungen sein wird und in der Folge die Zahl von Menschen auf der Flucht dramatisch zunehmen wird. Zudem wird prognostiziert, dass sich durch den Klimawandel Konflikte um Ressourcen weiter zuspitzen werden. Des Weiteren hat das Coronavirus ein Bewusstsein dafür geschaffen, dass Pandemien in Zukunft ein zusätzlicher Faktor für Grenzkontrolle und (Im-)Mobilität werden könnten. Gleichzeitig werden, wenn der aktuelle Trend sich fortsetzt, immer mehr Grenzen fortifiziert, wie die untenstehende Darstellung der Grenzbefestigungen im Zeitverlauf zeigt. Neue Grenzzäune sind bereits im Bau, so zum Beispiel an der polnischen EU-Außengrenze zu Belarus. Auch wenn die Vorausschau in kommende Zeiten immer ungewiss ist, lässt sich mit Blick auf die Zukunft der Grenzen ein Bild zeichnen, in dem die Folgen des Klimawandels in Form neuer Migrationsbewegungen und neuer Konflikte auf eine zunehmende Anzahl von Grenzbefestigungen treffen. Im Folgenden werde ich diese Entwicklungen genauer erläutern. Zunächst geht es um die Auswirkungen des Klimawandels auf Migration.
Klimawandel als Ursache von Migration
Klimawandel führt zu Migration. Umweltveränderungen und Naturkatastrophen waren schon immer Ursachen für Fluchtbewegungen, mit dem Klimawandel nehmen sie jedoch neue Dimensionen an. Das gilt für kurzfristige starke Wetterereignisse wie Fluten oder Tornados, aber auch für langsame Veränderungen wie das Versiegen von Wasservorräten oder das Ansteigen des Meeresspiegels. Diese langsamen Veränderungen sind schwer zu messen und zu definieren, machen aber einen wichtigen Teil der durch den Klimawandel bedingten Fluchtursachen aus. Umweltveränderungen führen einerseits zu Mobilität innerhalb eines Landes, was wiederum Ursache von Konflikten sein kann. Andererseits entsteht internationale Migration, in diesem Fall werden Grenzkontrollen relevant. Das Thema der klimabedingten Migration findet inzwischen vermehrt Aufmerksamkeit; so erwähnt der aktuelle Bericht der Internationalen Organisation für Migration diese als ein zunehmend wichtiger werdendes Problem, etwa in Ländern wie Bangladesch, Haiti, China oder den USA (International Organization for Migration 2022). Im Jahr 2020 wurden 30 Millionen Menschen weltweit durch Starkwetterereignisse vertrieben, etwa 30 Prozent davon in der Region Ostasien und Pazifik (GRID 2021). Die Prognosen über das Ausmaß zukünftiger klimabedingter Migration variieren stark, die Weltbank geht von bis zu 216 Millionen Klimaflüchtlingen bis 2050 aus (Clement et al 2021), andere Prognosen schätzen über eine Milliarde im selben Zeitraum (Tetsuji 2021); dabei werden als besonders stark betroffene Regionen die Sahelzone, Südasien, Lateinamerika und viele Inseln im Südpazifik genannt. Die Szenarien variieren auch deshalb so stark, weil Migration meist multikausal ist und es deshalb viel Raum für Interpretation gibt, wer als „Klimaflüchtling“ gezählt wird. Während die Bedeutung des Klimawandels als Fluchtursache unumstritten ist, gibt es keine einheitliche und klare Definition davon, was klimabedingte Migration eigentlich umfasst. Zum einen sind die individuellen Ursachen für Migration nicht immer bekannt. Zum anderen vermischen sich oft mehrere Fluchtursachen, wie auch die Geschichte von Byron zeigt – in diesem Fall wurden Menschen, die bereits mit Armut und schwierigen politischen Verhältnissen zu kämpfen hatten, durch eine Umweltkatastrophe endgültig vertrieben. Die Schwierigkeit, klimabedingte Migration trennscharf abzugrenzen, macht es als Problem schwer greifbar.
Wenn es aber so schwierig ist, Klimawandel von anderen Fluchtursachen abzugrenzen und wenn Migration in der Regel ohnehin mehrere Ursachen hat, warum ist es dann überhaupt notwendig und sinnvoll, von „Klimaflucht“ zu sprechen? Klima als Fluchtgrund unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht von anderen Ursachen; im Folgenden möchte ich vier Punkte nennen, die es aus meiner Sicht notwendig machen, das Thema Klimaflucht gesondert zu betrachten.
Erstens zeigen die genannten Prognosen, dass es sich um Migrationsbewegungen von enormem Ausmaß handeln wird. Diese klimabedingte Migration ist im Unterschied zu anderen Ereignissen wie zum Beispiel Kriegen langfristig vorhersehbar. Zwar sind die genauen Zahlen unklar, wir wissen aber bereits heute, dass es große Fluchtbewegungen geben wird und welche Regionen besonders betroffen sein werden. Es gibt also im Unterschied zu bisherigen Migrationsbewegungen mehr Möglichkeiten und damit auch eine stärkere moralische Notwendigkeit, diese Form der Migration vorherzusehen und darauf vorbereitet zu sein. So wäre es naheliegend, Konflikte über die Aufnahme von Geflüchteten, wie sie in der EU immer wieder auftreten, in diesem Fall zu antizipieren, rechtzeitig zu anzugehen und chaotische Situationen wie in der sogenannten „Flüchtlingskrise“ 2015 zu vermeiden.
Zweitens sind die Ursachen des Klimawandels klarer erkennbar, als dies bei anderen Fluchtgründen der Fall ist. Somit sind auch die Verantwortlichen leichter zu bestimmen. Auch bei Fluchtursachen wie Armut oder Konflikten kann auf eine Verantwortung der reichen westlichen Welt als Folge von Kolonialgeschichte, Verschuldung und anderer Formen der wirtschaftlichen Ausbeutung verwiesen werden, dies wird auch vielfach debattiert. Jedoch liegt es beim Klimawandel eindeutiger auf der Hand und lässt sich auch klar belegen, dass die hauptsächlich Leidtragenden nicht diejenigen sind, die das Problem verursacht haben: 23 reiche Industrienationen sind verantwortlich für 50% der bis heute verursachten CO²-Emissionen, die andere Hälfte verteilt sich auf 150 Staaten (Popovich, Plumer 2021). Besonders betroffene Regionen wie zahlreiche afrikanische oder asiatische Länder haben bislang kaum zum Klimawandel beigetragen. So zeigt die folgende Darstellung beispielhaft die Pro-Kopf-CO²-Emissionen Afghanistans – eines der am stärksten von Klimawandel und Konflikten betroffenen Länder – im Vergleich zu denen Deutschlands. Die moralische Verantwortung der reichen Länder als Hauptverursacher des Klimawandels gegenüber denjenigen, die dadurch in die Flucht getrieben werden, ist folglich unbestreitbar und muss in die Diskussion um Klimaflucht einbezogen werden.
Jedoch, und das ist der dritte Punkt, gibt es für das Phänomen der Klimaflucht bislang keine rechtliche Basis. Politisch Verfolgte haben ein Anrecht auf Asyl. So sehr das aktuelle Asylsystem kritisiert werden kann, stellt es doch theoretisch eine rechtliche Basis dar, auf die Geflüchtete sich berufen und die sie einklagen können. Für die Vertreibung durch Klimaveränderungen gibt es diese Möglichkeit bislang nicht, auch wenn es bereits Debatten darüber gibt, beispielsweise die Genfer Flüchtlingskonvention um diesen Aspekt zu erweitern oder einen ‚Klima-Pass‘ in Anlehnung an den Nansen-Pass für Staatenlose einzuführen (WBGU 2018). Um den durch Klimawandel Vertriebenen Schutz zu bieten, wird es notwendig sein, eine solche rechtliche Grundlage zu schaffen. Dabei wäre es sinnvoll, aus den Erfahrungen der bereits existierenden Vereinbarungen zu Flucht und Asyl, wie der Genfer Flüchtlingskonvention und den nationalen Asylsystemen, zu lernen. Denn diese Konventionen werden zwar formell von den meisten Staaten anerkannt, jedoch sorgen viele Regierungen „unendlich einfallsreich“ dafür, ihre Schutzverpflichtungen nicht einhalten zu müssen (Shachar 2020, 72). Es könnte also eine Chance sein, die Erfahrungen mit der Umsetzung dieser Regelwerke nutzen, um Strategien der Aufweichung von Schutzverpflichtungen so weit wie möglich vorzubeugen.
Eine vierte Besonderheit von klimabedingter Migration ist schließlich, dass die Folgen des Klimawandels arme und reiche Menschen und Länder zwar in sehr unterschiedlicher Weise treffen, da die am stärksten betroffenen Regionen meist im Globalen Süden liegen und zudem reichere Länder mehr Mittel zur Anpassung an den Klimawandel haben. Dennoch wird letztlich die gesamte Menschheit die Folgen des Klimawandels spüren. So hat die Flutkatastrophe im Ahrtal im Sommer 2020 der deutschen Öffentlichkeit vor Augen geführt, dass auch ein reiches Industrieland nicht vor den tödlichen Folgen des Klimawandels geschützt ist. Solche Erfahrungen könnten zu einem Gefühl einer weltweiten gemeinsamen Betroffenheit beitragen und die Solidarität gegenüber denen stärken, die vor den Folgen des Klimawandels fliehen müssen. In einem weniger optimistischen Szenario ist es allerdings ebenso möglich, dass die Betroffenheit aller zu verstärkten Konflikten um knapper werdende Ressourcen führt.
Klimawandel als Ursache von Konflikten
Konflikte um Ressourcen finden bereits heute vielerorts statt, sowohl zwischen Nachbarländern als auch innerhalb von Staaten. Der fortschreitenden Klimawandel wird die Knappheit mancher Ressourcen verschärfen und somit bestehende Konflikte verstärken sowie neue entstehen lassen. So führen Trockenheit und daraus folgende Hungersnöte in Nigeria bereits zu bewaffneten Auseinandersetzungen um Zugang zu Land und Wasser sowie zu internen Migrationsbewegungen und damit verbundenen Konflikten. Oftmals vermischen sich die Folgen des Klimawandels mit anderen Konfliktursachen. Der Jemen ist eines der Länder weltweit, das am stärksten mit Wasserknappheit zu kämpfen hat. Diese Knappheit hat dazu beigetragen, das Land zu destabilisieren, was mit zum Ausbruch des bewaffneten Konflikts 2015 geführt hat. Wassermangel war hier sicherlich nicht die einzige Ursache für den Bürgerkrieg, hat jedoch neben anderen Faktoren dazu beigetragen. Auch der Bürgerkrieg in Syrien, der Millionen Menschen in die Flucht getrieben hat, wird unter anderem darauf zurückgeführt, dass das Land zuvor eine extreme Dürreperiode erlebt hat, die zur Verschärfung des Konflikts beigetragen hat. In allen drei hier genannten Fällen haben Umweltveränderungen, vor allem Dürreperioden, zum Ausbruch bewaffneter Konflikte beigetragen und somit mittelbar auch interne oder grenzüberschreitende Fluchtbewegungen herbeigeführt. Durch den fortschreitenden Klimawandel werden Dürren immer häufiger auftreten und länger andauern. Es ist somit absehbar, dass auch daraus resultierende Konflikte sich intensivieren werden.
Neben diesen innerstaatlichen Konflikten gibt es auch zahlreiche zwischenstaatliche Konflikte um Ressourcen – auch hier spielt Wasser eine besonders wichtige Rolle. Auseinandersetzungen über die geteilte Nutzung grenzüberschreitender Flüsse sind in vielen Weltregionen schon lange Gegenstand von Verhandlungen und Konflikten. Aktuell finden solche Auseinandersetzungen unter anderem um das Wasser der Flusssysteme Indus, Nil, Euphrat und Tigris statt, betroffen sind also insbesondere Länder Afrikas und Asiens. Die meisten dieser Konflikte werden gewaltfrei ausgetragen und durch Verhandlungen gelöst oder zumindest befriedet. Durch den fortschreitenden Klimawandel und die damit einhergehende Wasserknappheit werden solche fragilen Kompromisse jedoch aufs Neue herausgefordert. Auch hier vermischen sich oft klimabedingte Spannungen mit anderen Konfliktursachen. Bereits konfliktbelastete und gleichzeitig besonders vom Klimawandel betroffene Regionen wie der Nahe und Mittlere Osten geraten besonders in die Gefahr sich verschärfender Konflikte. Aktuell sind elf der 15 Staaten, die am stärksten unter ökologischen Bedrohungen leiden, auch von Konflikten betroffen, dazu gehören unter anderem Afghanistan und Pakistan (Deutsche Welle 2021). Bei zwischenstaatlichen Ressourcen-Konflikten spielen Grenzen naturgemäß eine wichtige Rolle – eben weil Flüsse Grenzen überqueren und alle Anrainer von ihnen abhängig sind, ist ihre Nutzung so konflikthaft. In Syrien hält die Türkei Gebiete nahe der syrisch-türkischen Grenze besetzt. Kurdische Offiziere beschuldigen die türkische Regierung, in diesem Gebiet eine Wasserpumpstation zu blockieren, was zu einem dramatischen Wassermangel bei der kurdischen Bevölkerung führt. Gleichzeitig schwelt ein Konflikt um das Wasser des Euphrat zwischen der türkischen und der syrischen Regierung. Die zuverlässige Versorgung mit Wasser hatte Syrien sich in den 80er Jahren mit dem Versprechen erkauft, der PKK ihre Unterstützung zu entziehen. Das Abkommen scheint heute jedoch zu bröckeln, denn in Syrien kommt immer weniger Wasser an und der Pegel des Euphrat sinkt so stark, dass nicht nur die Wasser-, sondern auch die Stromversorgung gefährdet ist, denn Wasserkraft stellt einen wichtigen Teil der Stromproduktion dar. Hier vermischen sich also innerstaatliche und zwischenstaatliche politische Konflikte mit dem Kampf um die knapper werdende Ressource Wasser und veranschaulichen so, wie Konflikte in Zeiten des Klimawandels ausgetragen werden können (Von Laffert 2021). Ein weiteres Beispiel, wie verschiedene Konflikte sich dabei überlappen und verstärken können, ist die Grenze zwischen Pakistan und Indien. Aufgrund des Konflikts um die Kaschmir-Region ist die Grenze zwischen den beiden Ländern umstritten und seit Jahrzehnten mit Zäunen befestigt. Die Nutzung der grenzüberschreitenden Flüsse wird bislang durch Verträge geregelt, ist jedoch mit Spannungen behaftet. Im Jahr 2019 führte eine pakistanische Terrorgruppe einen Anschlag auf indische Streitkräfte durch, es gab zahlreiche Tote. Daraufhin drohte Indien damit, den Wasserfluss nach Pakistan einzuschränken (India Today 2019). Indien nutzte also seine Position als oberer Anrainer der Flüsse, um Pakistan politisch unter Druck zu setzen. Der Grenzkonflikt und der Konflikt um Wasserressourcen vermischen sich. Der indische Subkontinent wird eine der am stärksten vom Klimawandel betroffenen Regionen sein, durch Überschwemmungen und ansteigenden Meeresspiegel, aber auch durch Wasserknappheit. Zu dem andauernden Konflikt zwischen Pakistan und Indien sowie den bereits vollständig eingezäunten Grenzen Indiens mit Pakistan und Bangladesch werden somit weitere Spannungen hinzukommen.
Die Beispiele Pakistans und Syriens verdeutlichen, wie knapper werdende Ressourcen in bereits bestehenden Konflikten als Waffe und Druckmittel eingesetzt werden können. Insgesamt zeigen die vorhergehenden Abschnitte, wie sehr Klimawandel, Konflikte und Migration in Wechselwirkungen stehen. Die folgende Abbildung fasst die im Text genannten Konflikte sowie die oben ausgeführten Prognosen zur regionalen Verteilung von Klimamigration schematisch zusammen, ohne dabei Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben.
Ausblick: Klimawandel, Migration und Grenzen zusammendenken
Es zeigt sich bereits heute, dass der Klimawandel dramatische soziale Auswirkungen hat, die sowohl in innerstaatlichen und zwischenstaatlichen Konflikten als auch in neuen Migrationsbewegungen resultieren. Grenzen sind dabei Orte, an denen diese Auswirkungen manifest werden. Aktuell finden zwei Entwicklungen parallel statt: Zum einen werden Grenzen immer stärker aufgerüstet, insbesondere dort, wo das Wohlstandsgefälle zwischen den Nachbarländern stark ist. Zum anderen zeigen sich die Folgen des Klimawandels immer deutlicher und werden in Zukunft aller Voraussicht nach zu massiven Migrationsbewegungen und zunehmenden Konflikten führen. Auch wenn diese beiden Entwicklungen bislang nicht kausal miteinander verknüpft sind, so werden sie einander doch früher oder später tangieren. Denn Grenzkonflikte vermischen sich mit Ressourcenkonflikten und Grenzbefestigungen blockieren Klima-Migrant*innen. Die Themen Klima, Migration und Grenzen müssen deshalb zusammengedacht werden. Die Bedeutung von Grenzen ist hierbei zweischneidig: Einerseits zeigten Umweltkatastrophen und Ressourcen-Konflikte, wie künstlich menschengemachte Grenzlinien sind. Der Super-GAU von Tschernobyl war dafür eine erste historische Lehrstunde; gegen die Folgen des Klimawandels sind Grenzbefestigungen ebenso nutzlos. Auch Flüsse machen an Grenzen nicht halt, was zu ständigen Konflikten der Anrainer-Staaten führt. Andererseits werden Grenzen immer manifester durch ihre zunehmende Fortifizierung und sie werden eine große Rolle spielen, wenn Klimaflucht zunimmt. Während der Corona-Pandemie, die massive Grenzschließungen und -kontrollen zur Folge hatte, ist die Zahl der internationalen Migrant*innen weniger gestiegen als in den Jahren zuvor. Gleichzeitig stieg die Zahl der Binnenmigrant*innen in Ländern wie Bangladesch oder Fidschi dramatisch an (International Organization for Migration 2022). Diese Entwicklung könnte ein Szenario aufzeigen, das eintritt, wenn Fluchtgründe fortbestehen und durch den Klimawandel massiv zunehmen, Staaten aber weiterhin und immer mehr auf Grenzschließung als Lösung setzen – die Infrastruktur dafür steht mit den Grenzzäunen schon bereit.
Neben ihrer materiell-physischen Funktion, Mobilität aufzuhalten und zu kontrollieren, haben Grenzen auch eine symbolische Funktion, nämlich das Innen vom Außen abzugrenzen, das Eigene und das Fremde zu definieren. Im Hinblick auf zunehmende Konflikte und Migrationsbewegungen als Folge des Klimawandels stellt sich bezüglich dieser materiellen und der symbolischen Funktionen die Frage, ob gerade die Länder, die die (historische) Verantwortung für den Klimawandel tragen, rechtzeitig für einen rechtlichen Rahmen und einen solidarischen Umgang mit Klimaflüchtlingen Sorge tragen werden. Oder ob der Trend der zunehmenden Abschottung reicher Länder gegenüber dem Rest der Welt und der populistischen Abwehr von „Fremden“ sich fortsetzen wird. Bisher deutet viel auf Letzteres hin: Sieben der größten Treibhausgasemittenten – die USA, Deutschland, Japan, Großbritannien, Kanada, Frankreich und Australien – gaben zwischen 2013 und 2018 zusammen mehr als doppelt so viel Geld für Grenz- und Migrationskontrolle aus wie für den Klimaschutz (Miller, Buxton, Akkerman 2021). Die eingangs erzählte Geschichte von Byron und vielen anderen hätte anders verlaufen können, wenn die Verursacher des Klimawandels ihre historische Verantwortung ernst nehmen und die Betroffenen vor Ort oder auf der Flucht unterstützen würden.
Autorinneninfo
Kristina Korte (kristina.korte@hu-berlin.de) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Humboldt-Universität Berlin. Sie promoviert zu Migrationskontrolle an stark befestigten Grenzen. Ihre Forschungsinteressen umfassen neben Migration und Grenzpolitik auch politische Soziologie, Rassismus, Integration, Klimawandel und Umweltpolitik.
Quellenverzeichnis:
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