Teilprojekte | Projektbereich B | Räume digitaler Mediatisierungen

B04
Lokative Medien II: Neue Raumwirklichkeiten zwischen Konflikt und Koexistenz

Das Teilprojekt untersucht die mit der Veralltäglichung lokativer Medien einhergehende Veränderung der durch das handlungswirksame Raumwissen konstituierten Raumwirklichkeiten. Als lokative Medien gelten mobile Apps, die auf die Standortfunktionen von Smartphones zugreifen, um ihre Nutzer*innen im physischen Raum zu lokalisieren und ihnen Web-Inhalte anzuzeigen, die auf ihren aktuellen Standort zugeschnitten sind. In der Wahrnehmung der Nutzer*innen verschmelzen der digitale Raum auf dem Smartphone-Bildschirm und der physische Raum zu einem cyber-physischen Wirklichkeitszusammen-hang. In der ersten Förderphase hat das Projekt einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Refiguration von Räumen geleistet, indem es mit lokativen Medien die jüngste Welle der Digitalisierung urbaner Räume in den Blick genommen hat und die Folgen dieses Refigurationsprozesses für die Frage der Zugänglichkeit öffentlicher Orte empirisch untersucht und theoretisch konzeptioniert hat. Seit der Antragstellung für die erste Projektphase haben sich lokative Medien von einem Experimentierfeld für neue Praktiken der Raumaneignung und -wahrnehmung zu Alltagstechniken entwickelt. Führende Internetplattformen haben die Annotationsfunktionen lokativer Empfehlungsdienste übernommen, mobile Spiele (z. B. Pokémon Go) und mobiles Dating (z. B. Tinder) sind inzwischen weit verbreitet. Unsere bisherigen Befunde zeigen, dass mit der Veralltäglichung lokativer Medien eine Polykontexturalisierung raumbezogener Wirklichkeits-konstruktionen stattfindet. Dabei entstehen sowohl Konstellationen konflikthafter Raumaneignung als auch der Koexistenz.
In der zweiten Förderperiode sollen am Beispiel mobiler Empfehlungsdienste, mobilen Gamings und mobilen Datings unterschiedliche Formen der digitalen Mediatisierung vorgängiger Raumwirklichkeiten und der cyber-physischen Konstruktion alternativer Raumwirklichkeiten unter dem Gesichtspunkt von Konflikt und Koexistenz untersucht werden. In allen diesen Fällen können lokative Medien zum Anlass von Konflikten werden, etwa wenn die cyber-physische Raumwirklichkeit von etablierten Wirklichkeitswahrnehmungen abweicht und dies als Verzerrung thematisiert wird oder wenn sie mit Praktiken der Raumaneignung einhergeht, die etablierten sozial-räumlichen Verhaltensnormen widersprechen. In allen Fällen können lokative Medien, aber auch neue Formen der Koexistenz unterschiedlicher Raumwirklichkeiten ermöglichen, etwa wenn die jeweiligen cyber-physischen Raumwirklichkeiten wechselseitig füreinander unsichtbar bleiben. Die Entstehungsbedingungen für konfligierende oder koexistierende Raumwirklichkeiten werden mit einem Methodenmix aus problemzentrierten Interviews, fokussiert-ethnografischen Beobachtungen und computergestützten Textanalysen empirisch erforscht.

 

 

Phase 1 (2018-2021)

Lokative Medien: Inklusion und Exklusion in öffentlichen Räumen

Ziel des Projekts ist es, neue Formen alltäglicher Raumkonstitution unter den Bedingungen der gegenwärtig erfolgenden cyber-physischen Verschmelzung von materiellen und virtuellen Kommunikationsräumen zu untersuchen. Diese Verschmelzung ist das Resultat einer neuen Softwaregeneration von Smartphone-Apps, die als lokative Medien bezeichnet werden und standortbezogene Informationen aus virtuellen Räumen mit topographischen Räumen der Face-to-Face-Kommunikation verbinden. So erweitern etwa Spiele-Apps den materiellen Raum um virtuelle Geschöpfe und Gegenstände, oder ein mobiler Empfehlungsdienst zeigt in seiner App ein in der Nähe liegendes Restaurant mitsamt Speisekarte an. Der Einsatz lokativer Medien hat zur Folge, dass sich Orte des Zusammenlebens nicht mehr für alle Anwesenden gleich darstellen, weil sich die Raumkonstitution nun auf zusätzliche digital repräsentierte Elemente stützt, die nur für die Nutzer/-innen spezifischer Apps erfahrbar sind. In der Literatur werden zwei Effekte kontrovers diskutiert, die mit der zunehmenden Verbreitung und Nutzung lokativer Medien im öffentlichen Raum einhergehen können: auf der einen Seite die Entstehung inkludierender Begegnungsorte, auf der anderen Seite die Entstehung exkludierender Rückzugsorte. Das vorliegende Forschungsvorhaben knüpft an dieses Forschungsdesiderat an und fragt, unter welchen sozio-technischen Bedingungen mit der Entstehung neuer Inklusionschancen oder mit verstärkter sozialer Exklusion zu rechnen ist und welche neuen relationalen Anordnungen zu Räumen sich physisch-materiell und sozial bei der Nutzung lokativer Medien beobachten lassen.

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