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A05
Zuhause: Wohnräume und Selbstbilder der kenianischen Mittelschicht

Das Teilprojekt untersuchte in der ersten Förderphase die biographische Raumkonstitution von Mittelschichtsangehörigen in Kenia und Deutschland. Anhand biographisch-narrativer Interviews konnte gezeigt werden, dass investive Statusarbeit ein gemeinsames Merkmal mittelschichtsorientierter Lebensstile in Kenia und Deutschland darstellt. In beiden Fällen geht planvolle Lebensführung mit linear-konzentrischen Biographisierungsmustern einher. Zentrale Bedeutung erhält die Konstitution eines Zuhauses. Daraus ergibt sich für die zweite Förderphase eine Fokussierung auf die Wohnformen der kenianischen Mittelschicht. Wohnen wird als Prozess verstanden, der sowohl materiell-bauliche Aspekte als auch Relationen zwischen Alltagsräumen umfasst. Dies erscheint vielversprechend, da Wohnen (1.) ein zentrales Feld investiver Statusarbeit darstellt; (2.) sich Lebensführungsmuster im Kontext des Wohnens deutlich verändern und explizit räumlichen Charakter haben; (3.) Wohnen eine räumliche Infrastruktur subjektiver Lebens-welten bildet, in der Relationen auf spezifische Art geknüpft werden; (4.) die Analyse von Wohnformen Aufschluss über die Selbstbilder der Bewohner*innen verspricht, wodurch analysiert werden kann, wie die Refiguration auf Ebene des subjektiven Raumwissens verarbeitet wird.

Für das kenianische Sample zeigte sich außerdem, dass Auslandserfahrungen und globale Mobilität für die Selbstverständnisse der kenianischen Mittelschicht konstitutiv sind. In der zweiten Förderphase werden deshalb Subjektivierungsformen kenianischer Mittelschichtsangehöriger anhand ihrer eigenen räumlichen Relationierungen analysiert. Dazu werden jeweils 20 kenianische Mittelschichtshaushalte in Nairobi und Berlin erforscht. Wie und welche polykontexturalen Bezüge im Wohnen hergestellt werden (etwa zwischen Land, Stadt, Diaspora), bildet das Differenzkriterium, mit dem die verschiedenen räumlichen Lebensstile rekonstruiert werden. Das Teilprojekt beantwortet damit folgende Forschungsfragen: (1.) Wie kann der soziale Wandel der Lebensverhältnisse durch den Aufstieg in die Mittelschicht räumlich beschrieben werden? (2.) Welche räumlichen Subjektivierungsformen lassen sich im Kontext des Wohnens rekonstruieren? (3.) Wie werden diskursive Subjektzuschreibungen auf Ebene subjektiven Raumwissens internalisiert? (4.) Welche Konflikte zwischen Raumfiguren ergeben sich im Wohnen? Die biographische Perspektive der ersten Förderphase wird durch eine interpretative Subjektivierungsanalyse ergänzt. Die innere Vielfalt der kenianischen Mittelschicht wird entlang ihrer räumlichen Orientierungen weiter aufgeschlüsselt, wodurch das Konzept der multiple spatialities empirisch geschärft wird. Mit einer wissenssoziologischen Diskursanalyse werden Subjektzuschreibungen im Diskurs um die global middle class rekonstruiert. Zudem werden die Bewohner*innen gebeten, Wohnbilder anzufertigen, indem sie ihre relevanten Wohn- und Alltagsräume fotografieren. Diese visuellen Daten dienen als Impulse für vertiefende Interviews. Ethnografische Beobachtungen im Wohnumfeld und go-alongs entlang der alltagsräumlichen Relationen ergänzen das Datenkorpus.

Publikationen

Phase 1 (2018-2021)

Biographien der Mittelschichten: Raumbezüge im Wandel des Lebens

Das Forschungsprojekt untersucht Raumkonstitutionen von Angehörigen der Mittelschichten aus einer biographischen Perspektive in Kenia und Deutschland. Dabei werden explizit die translokalen Raumbezüge der familären Sphäre einerseits und der der Arbeitswelt andererseits fokussiert. Auf Basis narrativ-biographischer Interviews werden die relevanten biographischen Räume rekonstruiert und hinsichtlich ihrer Ähnlichkeiten und Unterschiede analysiert. Im Rahmen des explorativen Forschungsprojektes werden verschiedene Vergleichskategorien (z.B. Stadt/Land, Gender, Alter oder Religiosität) gleichberechtigt getestet, und auf ihren Erklärungswert hin befragt. Der Vergleich zwischen deutschen und kenianischen Mittelschichten stellt dabei nur eine von vielen Vergleichskategorien dar. Erklärungswert verspricht diese Kategorie, weil die Mittelschichten in Kenia hauptsächlich erst in den letzten Jahrzehnten unter den Bedingungen einer viel stärker globalisierten Weltwirtschaft ohne sozialstaatliche Rahmung entstanden sind, während die deutsche Mittelschichten hinsichtlich ihrer Entstehung Ende des 19. Jhd. zutiefst mit der Etablierung des Wohlfahrtsstaates verwoben sind. Ziel ist es eine empirisch fundierte Konzeptualisierung der typischen biographischen Bewältigungsstrategien des Spannungsverhältnisses zwischen Reproduktionssphäre und Arbeitswelt aus einer räumlichen Perspektive zu entwickeln.