„Als Forscherin werde ich zu einem Teil des Problems“
„Hier am SFB treiben mich gerade zwei Themen um – die aber in gewisser Weise beide mit der Position oder Rolle zu tun haben, die ich selbst innehabe. Zum Einen stelle ich fest, dass bei uns gerade zwei Welten aufeinanderprallen: Die universitären Strukturen, die es schon immer gab und die streng hierarchisch in Profs, Mittelbau und Studis unterscheiden, werden gerade von einer neuen Generation herausgefordert.
Solche Forderungen nach mehr Respekt und Zusammenarbeit auf Augenhöhe findet man im gesamten Uni-Betrieb, nicht nur hier am SFB. Aber für mich entfaltet das Thema bei uns eine besondere Wucht, weil wir uns der Refiguration von Räumen widmen; dazu gehören soziale Veränderungen und gesellschaftlicher Wandel. Anders als etwa in den Neurowissenschaften geht es bei uns also explizit um das Zwischenmenschliche, und ich finde, das sollte man auch im internen Umgang miteinander ernstnehmen – gerade ein Forschungsprojekt, in dem so viele Soziolog:innen arbeiten, müsste da ein Vorbild sein. Sicher: Wir können nicht die Kultur an der gesamten Technischen Universität verändern. Aber irgendwo muss ja man anfangen.
Ich selbst sehe mich als Teil davon – nicht nur, weil ich zum Mittelbau gehöre, sondern auch, weil ich mich als studierte Raumstrategin und Urbanistin jahrelang mit integrativer Planung beschäftigt habe. Für mich war immer klar: Alle Meinungen sind wichtig, jede einzelne zählt und wird aufgenommen, um daraus dann Stadt zu machen. Auch wenn man erst nach langer Suche und vielen Auseinandersetzungen eine Lösung findet, die wirklich für alle funktioniert.
Das Planungsbüro, für das ich gearbeitet habe, war bei meiner Anstellung 2008 noch ein ganz klassisches Unternehmen – mit einem Boss, der sagte, wo‘s langgeht, und Mitarbeiter:innen, die das befolgten. Gerade in der Architektur und im Städtebau herrschte damals eine extrem hierarchische Führungskultur: Alle taten, was der große, geniale Geist sich ausdachte. Dann aber begann sich die Arbeitswelt zu verändern, und mein Chef beschloss, die Verantwortung nicht mehr allein tragen zu wollen. Also wurde nach einer neuen Unternehmensform gesucht und das Büro schließlich zu einer GmbH mit zehn Gesellschaftern statt eines Unternehmers an der Spitze umgewandelt. Heute sehe ich viele Parallelen zwischen jenem Prozess und der Transformation, die wir gerade bei uns anstoßen. Ein Planungsbüro kann nicht vermitteln, dass es die Welt besser, schöner und gerechter machen will, dabei aber selbst an den alten Mustern und Strukturen festhalten – und das Gleiche gilt aus meiner Sicht für unseren SFB.
Das andere Thema, das mich stark gerade beschäftigt, sind meine Aufenthalte in Venedig – unserem Forschungsfeld – und die Frage, wie ich damit umgehen soll. In unserem Projekt befassen wir uns unter anderem mit dem Problem des Massentourismus, der die Stadt fast erstickt. Nur: Als Forscherin, die nach Venedig reist, werde ich zu einem Teil des Problems. Es ist ein schwieriges Gefühl, mir das einzugestehen – und noch schwieriger finde ich es, etwas daran zu verändern. Bei meiner jüngsten Reise bin ich zum Beispiel bewusst nur von Montag bis Freitag dort geblieben, um zumindest nicht am Wochenende in der Stadt zu sein, wenn sie besonders überfüllt ist; ich ertrage die Menschenmassen dann selbst nicht mehr. Aber ich finde, wir sollten eine klarere Haltung dazu entwickeln, was wir in und mit unserem Feld tun.
Allerdings ist das Thema ,Tourismus‘ sehr ambivalent. Aus Gesprächen mit Verkäufer:innen weiß ich, dass es in Venedig drei Interessensgruppen gibt: Unternehmer:innen, die in der klassischen Tourismusbranche arbeiten; Aktivist:innen, die sich dagegen politisch engagieren; und Aktivist:innen, die einen sanfteren Tourismus schaffen wollen, der vor allem die lokalen Gewerben unterstützt. Letztere nehmen gern für sich in Anspruch, die besten Absichten zu haben, welche Venedig am meisten zugutekommen. Aber aus meiner Sicht fördern auch sie Besucher:innenanstürme, den Ausverkauf und die Verdrängung der Einheimischen; es geschieht nur unter einem exklusiveren Label. Zugleich darf man nicht vergessen, dass die Venezianer:innen es durchaus genießen, sich zu exponieren und von der ganzen Welt für ihre Stadt bewundert zu werden. Das ist irgendwie ein schwer durchdringbares Spiel der Pole.“
Janin Walter ist Künstlerische Mitarbeiterin am Institut für Architektur der Technischen Universität Berlin und Mitglied im Teilprojekt „Raummigration und Tourismus II: Imaginative und bildraumspezifische Kontexturen Venedigs“.
Céline Lauer ist Stadtanthropologin und Wissenschaftsredakteurin bei WELT/WELT am Sonntag. Im Juni 2023 war sie als Journalist in Residence zu Gast am SFB 1265.
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